Strategieforum Lausitz
»Neue Wege aus dem Fachkräftemangel«

Bildung verbindet! 

Am 28. und 29. November 2024 fand in Bad Muskau das erste Strategieforum Lausitz statt. Unter dem Titel »Neue Wege aus dem Fachkräftemangel« widmeten wir uns einer der zentralen Herausforderungen des Strukturwandels: der voranschreitenden Reduktion des Erwerbspersonenpotenzials vor dem Hintergrund umfassender Transformationsprozesse in der Region. Wir brachten Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung sowie regionale Akteure zusammen, um gemeinsam Lösungsansätze zu diskutieren und anhand spannender Vorträge die Vielschichtigkeit der Thematik zu entfalten. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die demografische Entwicklung der Lausitz und deren konkrete Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung wurden insbesondere die Potenziale und Herausforderungen von Zuzug als Schlüsselfaktor für die regionale Entwicklung hervorgehoben. Neben inspirierenden Vorträgen bot das Forum viel Raum für Austausch, Diskussionen und praxisnahe Einblicke. Zielstellung war es, wissenschaftliche Expert*innen, Menschen in Entscheidungspositionen und regionale Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen und Impulse zu setzen, um gemeinsam den Strukturwandel in der Lausitz voranzubringen.

Strategieforum Lausitz_Schloss Bad Muskau ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Hintergrund

Ohne Zuzug würde die Bevölkerung Deutschlands seit Jahrzehnten sukzessive schrumpfen. Auch international gewinnt Migration nach wie vor weiter an Bedeutung: Weltweit treffen Menschen die Entscheidung darüber, wo und wie sie leben möchten, zunehmend individueller und bedürfnisorientierter. Diese globalen Prozesse werden auch an Ostdeutschland und insbesondere der Lausitz nicht spurlos vorbeigehen. Die endogenen Potenziale der Lausitz sind durch die Schrumpfungen der letzten Jahrzehnte nachhaltig ausgeschöpft und der Binnenzuzug ist im Zuge des existenziellen Konkurrenzkampfes unterschiedlichster Regionen um Fachkräfte alles andere als gesichert. Insbesondere für die ländlichen Regionen Ostdeutschlands, die bisher wenig internationalen Zuzug erfahren haben, wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einiges ändern, das deuten sämtliche Berechnungen an. Internationaler Zuzug in die Lausitz ist demnach keine Frage des „Ob“, sondern eher des „Wie“. Grund genug für uns also, sich diesem Tatbestand bewusst proaktiv und zugewandt zu widmen. Menschen mit Migrationserfahrung stellen auf dem Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik seit mehreren Jahrzehnten eine Bereicherung der Gesellschaft dar und tragen dort sowohl zur demografischen Stabilität als auch zum wirtschaftlichen Aufschwung sowie zur kulturellen Diversität bei. Diese Entwicklung deutet sich, wenn auch anders gelagert, auch für Ostdeutschland und die Lausitz an. Das Strategieforum Lausitz vermittelte fundierte Einblicke über den aktuellen Stand der Forschung sowie praxisnahe Erfahrungen aus erster Hand und weitete den Blick für zukünftige Szenarien.

Strategieforum Lausitz_Begrüßung Dr. Thomas Prennig_©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Begrüßung

Dr. Thomas Prennig, Projektleiter des Netzwerkbüros, eröffnete das Strategieforum mit einer historischen Einordnung der Transformation in der Lausitz. Er zeigte auf, dass die Region durch den wirtschaftlichen Umbruch der 1990er Jahre massiv an Bevölkerung verlor – heute leben circa 348.000 Menschen weniger in der Lausitz als damals. Die meisten verließen aufgrund massiver Arbeits- und Perspektivlosigkeit die Region und kehrten bis heute nicht zurück. Besonders gravierend war der Weggang junger Menschen, der die demografische Struktur der Lausitz nachhaltig schwächte. Der historisch bedingte Verlust unzähliger Menschen zog gesellschaftliche Entwicklungen nach sich, deren Auswirkungen noch lange spürbar sein werden. Die Besetzung der durch den Strukturwandel neu entstehenden Arbeitsplätze ist aktuell einer der zentralen Schauplätze und stellt die Region vor große Herausforderungen. Betont wurde insbesondere, dass die Lausitz die einzigartige Chance, die ihr der politisch beschlossene Wandel von der Kohleregion hin zu einem modernen und zukunftsträchtigen Wirtschaftsstandort bietet, nur nutzen kann, wenn sie es durch eine gezielte Zuzugsstrategie, flankiert von einer gesamtgesellschaftlichen Willkommenskultur und attraktiven Lebensbedingungen vor Ort schafft, genügend Menschen in die Region zu bringen.

Strategieforum Lausitz_Grußwort Diana Gonzalez Olivo ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Grußwort

Diana Gonzalez Olivo, seit Mai 2024 Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg, knüpfte als ehemalige Absolventin der BTU in ihrem Grußwort an ihre persönliche Verbundenheit zur Lausitz an. Sie unterstrich, wie entscheidend es ist, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz aktiv anzuwenden, um qualifizierte Zuwanderung zu erleichtern. In diesem Zuge verwies sie auch darauf, dass Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits in der Lausitz leben, ebenfalls stärker durch Qualifizierung und Weiterbildung unterstützt werden müssen. Willkommenszentren stellen dabei essenzielle Ankerpunkte dar, um Zugezogene im sozialen und beruflichen Alltag zu begleiten. Sie unterstrich, dass echte Partizipationsmöglichkeiten notwendig sind, damit neue Fachkräfte langfristig bleiben und sich einbringen können. Der öffentliche Diskurs über Migration und Integration müsse offener und positiver gestaltet werden. Denn: »Die Lausitz hat das Potenzial, ein Ort des Aufbruchs und der Vielfalt zu sein – wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen.«

Strategieforum Lausitz_Dr. Frederick Sixtus ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Impulse aus der Wissenschaft (Teil 1)

Dr. Frederick Sixtus vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung bot mit seinem Impulsvortrag »Die Lausitz im demografischen Wandel« einen eindringlichen Blick auf die demografische Entwicklung der Lausitz gestern, heute und morgen. Seit 2014/2015 profitiert die Region allmählich von Zuwanderung, doch dieser Zugewinn reicht langfristig betrachtet nicht aus, um die natürlichen Bevölkerungsverluste auszugleichen. Besonders kritisch ist der prognostizierte Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung, der durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation bis 2030 seinen Höhepunkt erreichen wird. Dr. Sixtus sprach zudem von einem „demografischen Teufelskreis“, indem etwa das Geburtenloch der 1990er Jahre die heutige Anzahl potenzieller Eltern reduziert, was wiederum zu sinkenden Geburtenzahlen führt. Zudem passen sich gesellschaftliche Strukturen und die öffentliche Daseinsvorsorge an die alternde und schrumpfende Bevölkerung an, was die Standortattraktivität weiter mindert. Das stetig abnehmende ÖPNV-Angebot ist da nur eines von vielen Beispielen, das bereits jetzt schon viele Landkreise der Lausitz umtreibt. »Die deutsche Gesellschaft ist älter, bunter, aber auch weniger geworden.« Dennoch zeigte Sixtus Lösungen auf: Zuwanderung, Qualifizierung und bessere Lebensbedingungen könnten der Lausitz helfen, diese Herausforderungen zu meistern. Sein Vortrag initiierte im Anschluss eine lebhafte Frage- und Austauschrunde unter den Teilnehmenden.

Strategieforum Lausitz_Prof. Dr. Birgit Glorius ©NetzwerkbüroBildung in der Lausitz

Impulse aus der Wissenschaft (Teil 2)

Prof. Dr. Birgit Glorius von der TU Chemnitz präsentierte mit ihrem Vortrag »Willkommen im ländlichen Raum? – Potenziale und Herausforderungen der internationalen Zuwanderung in ländliche Regionen« spannende Einblicke in ihr langjähriges Forschungsfeld und setzte damit neue Impulse für die Diskussionen vor Ort. Sie stellte heraus, dass vieles, was wir über Migration wissen, auf Erfahrungen aus westdeutschen Regionen basiert, jedoch nicht ohne Weiteres auf ostdeutsche, insbesondere ländlich geprägte Regionen übertragbar ist. Hier treffen Zuwandernde auf eine weniger diverse Gesellschaft und ein Umfeld, in dem Integration oft als Bringschuld wahrgenommen wird. Glorius plädierte für eine Verschiebung des Fokus: Weg von der alleinigen Leistung der Zugewanderten hin zur beidseitigen „Rezeptivität“ – der Offenheit und Fähigkeit der Aufnahmegesellschaft, Vielfalt auszuhalten und aktiv zu gestalten. Die ländliche Prägung könne dabei eine Stärke sein, da sozialräumliche Nähe und persönliche Begegnungen Integration fördern können. »Migration ist keine Einbahnstraße – sie erfordert Mut und Bereitschaft auf beiden Seiten.« Mit diesen Worten rief die Professorin dazu auf, Zuwanderung als Chance zu begreifen. Eine gelebte Willkommenskultur und positive Narrative könnten die Lausitz als vielfältige und zukunftsfähige Region etablieren.

Strategieforum Lausitz 2024_Podiumsdiskussion ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Moderierter Austausch »Zuzug als Motor des Strukturwandels«

Die hochkarätige Podiumsdiskussion am Abend zum Thema »Zuzug als Motor für den Strukturwandel in der Lausitz« gewährte eine tiefgreifende und kontroverse Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen von Zuzug für die Region. Im Zuge der kenntnisreichen Moderation durch Livia Knebel, Leiterin der Netzwerkstelle Kulturelle Bildung im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, wurde das breite Spektrum des Themas nach und nach entfaltet.

Prof. Dr. Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz brachte gleich zu Beginn eine provokante Perspektive ein: Nur weil wir Zuwanderung als erforderlich erachten, sei sie keineswegs alternativlos bzw. zwingend wünschenswert – schließlich gäbe es Gesellschaften, die sich offensiv gegen Zuwanderung entscheiden. Er appellierte, sich – nicht zuletzt angesichts der Wahlerfolge migrationskritischer Parteien in der Region – vom „wishful thinking“ zu lösen und stattdessen offen über die konkreten Konsequenzen verschiedener Szenarien zu sprechen – auch über die Option, auf Zuwanderung in Gänze zu verzichten. Dabei mahnte er, den Diskurs ohne belehrenden Ton zu führen, um echte Akzeptanz zu fördern. Prof. Dr. Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung griff diese Überlegung auf und stellte die normative Frage in den Raum: »Was bedeutet es für eine demokratische Gesellschaft, wenn Zuwanderung systematisch eingeschränkt wird?« Seine Antwort darauf stellte klar, dass es keine Demokratie ohne Zuwanderung geben könne und Abschottung stets mit Zwang und autoritärem Denken einhergehe. Er stellte ferner zur Debatte, dass die gezielte Ansiedlung migrantischer Unternehmen weitere Fachkräfte anziehen könne – ein Ansatz, der gerade für die Lausitz vielversprechend sein dürfte.

Diana Gonzalez Olivo, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg, hob die vielfältigen Hürden hervor, denen sich Geflüchtete oft gegenübersehen – von zu wenigen Sprachkursen über bürokratische Anerkennungsprozesse bis hin zu langfristigen und emergenten Prozessen einer sozialräumlichen Integration. Sie betonte, dass Integration nicht nur im Arbeitsmarkt, sondern auch im alltäglichen Leben stattfinden muss. Dabei regte sie zum Nachdenken an: »Erfolgreiche Migration ist sichtbar – doch wie reagieren wir darauf? Können wir akzeptieren, wenn Zugewanderte aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben und neue Impulse setzen?« Für eine nachhaltige Integration sei es zudem entscheidend, eine ernstgemeinte Willkommenskultur zu schaffen, die Vielfalt wertschätzt und die Region als offenen und lebenswerten Standort präsentiert.

Katrin Müller-Wartig, Leiterin der Abteilung 5 für Arbeit, Fachkräfte, Europäische Strukturfonds im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg, berichtete von den Schwierigkeiten einer politischen Begleitung dieser Prozesse. Sie bezog sich auf ein Pilotprojekt zur Fachkräfteanwerbung in kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), denen häufig Schwierigkeiten bei der Integration von Fachkräften attestiert werden, was oft mit den fehlenden Ressourcen dieser Betriebe im Zusammenhang steht. Trotz der direkten Ansprache und dem Angebot einer umfassenden Hilfestellung gegenüber 1.500 Unternehmen war die Resonanz gering, was einmal mehr auf die ganz individuellen strukturellen Herausforderungen bei kleineren Unternehmen vor Ort hindeutet.

Dr. Jörg Huntemann, Leiter der Abteilung 3 für Strukturentwicklung im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung, hob hervor, dass der Fachkräftebedarf zu Beginn des Transformationsprozesses unterschätzt wurde. Außerdem betonte er nochmals, dass internationaler Zuzug nicht die einzige Stellschraube im Themengebiet des Fachkräftemangels sei: Auch technologische Produktivitätssteigerungen, Binnenmigration und das Reduzieren von Schul- und Ausbildungsabbrüchen könnten die drohende Lücke im Erwerbspersonenpotenzial verringern. Er warb für eine multiperspektivische Herangehensweise und Offenheit für neue Denkweisen. Erfolgreiche Praxisbeispiele seien in diesem Zusammenhang der beste Weg, um vor allem regionale KMU zum Handeln zu motivieren.

Die Diskussion und der anschließende Austausch verdeutlichten die Komplexität und Tiefgründigkeit des Themas und die dringende Notwendigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Entscheidungen und praktische Erfahrungen nachhaltig zu verknüpfen, um erfolgsversprechende Strategien für die Lausitz zu entwickeln.

Strategieforum Lausitz_Prof. Dr. Herbert Brücker ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Impulse aus der Wissenschaft (Teil 3)

Am zweiten Tag eröffnete Prof. Dr. Herbert Brücker von der HU Berlin den Vormittag mit einem weitsichtigen Vortrag zu »Migration und Arbeitsmarkt im demografischen Wandel: Chancen und Herausforderungen«. Er machte deutlich, dass Migration zwar den Alterungsprozess einer Gesellschaft kurzfristig mildern, sie den demografischen Wandel jedoch nicht vollends aufhalten kann. Mit nur 4 % an Zuzügen, die aus Erwerbszwecken erfolgen, bleibt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinter den Möglichkeiten qualifizierter Zuwanderung zurück – auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2.0 ändere daran wenig, so Prof. Brücker. Er betonte ferner: »Migration wird nur dann gelingen, wenn auch wir uns verändern. Denn: Künftig wird die Migration vordergründig aus Drittstaaten kommen müssen, aber dafür sind die institutionellen Rahmenbedingungen noch nicht ausreichend entwickelt.«

Er schlug vor, deutsche Ausbildungsberufe stärker an internationale Standards anzupassen, diese zu flexibilisieren und Anerkennungsverfahren zu erleichtern. Wissenswert: Deutschland verfolgt im Vergleich zu anderen Ländern eine nachhaltige Integrationsstrategie mit Fokus auf Sprach- und Integrationsprogramme, während Länder wie Dänemark auf direkte Arbeitsmarktintegration setzen – welche Strategie langfristig erfolgreicher ist, kann aktuell nicht beantwortet werden. Dazu komme, dass Geflüchtete aufgrund ihrer individuellen Ausgangslage durchschnittlich acht Jahre benötigen, um einen ähnlichen Erwerbsstand wie Menschen mit Migrationshintergrund ohne Fluchterfahrung zu erreichen. »Wir müssen akzeptieren, dass ausländische Qualifikationen anders, aber nicht unbedingt schlechter sind.« Eine Gleichwertigkeitsprüfung würde sich erübrigen, wenn sowohl ein Abschluss als auch ein Arbeitsvertrag vorliegen. Damit wäre ein essenzieller Schritt getan, um Zuwanderung erfolgreich und nachhaltig zu gestalten.

Strategieforum Lausitz_Podiumsdiskussion ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Impulse aus der Praxis: Wie Integration in der Lausitz gelingt – und wo sie an Grenzen stößt

Den Anfang machte Dr. med. Vu vom Verein der Vietnamesen in Cottbus. Er betonte die Bedeutung eines zentralen Anlaufpunkts, der Menschen und Behörden verbindet. Durch gelebte Berufsorientierung und gemeinsame Feste stärkt der Verein sowohl die vietnamesische Community als auch deren Integration in die Lausitz. Diesen Ansatz ergänzte Carsten Baumeister von der Altech Group, der mit einer 4-Tage-Woche und einem Fokus auf Wohlbefinden am Arbeitsplatz ein überregional konkurrenzfähiges Arbeitsumfeld schaffen möchte. Doch Baumeister machte auch deutlich, dass Unternehmen allein nicht alle Aspekte der Fachkräftesicherung stemmen können. Vor diesem Hintergrund braucht es ein gemeinsames Vorgehen möglichst vieler Akteure in der Region. Aline Nickel von der Fleischerei Kadach illustrierte die Herausforderungen des bürokratischen Umgangs mit internationalen Fachkräften. Dank eines breiten Unterstützerkreises konnte die drohende Abschiebung eines Mitarbeiters aus Venezuela vorläufig abgewendet werden – ein erhellendes Beispiel für die bestehenden Passungsprobleme zwischen Vorschriften und Realität. Hebat Hammash, Leiterin des Projektes »Willkommen in Cottbus«, lenkte den Blick auf die oft langwierigen Anerkennungsverfahren für internationale Fachkräfte, insbesondere im Gesundheitswesen. Unzählige Ärzt*innen aus dem Ausland dürften in Deutschland nicht arbeiten, weil ihre Qualifikation nicht anerkannt werde, obwohl sie internationalen Standards entspreche. Abschließend regte auch Marcel Linge von Startup Lausitz an, eine zentrale Anlaufstelle, eine „One-Stop-Agency“, zu schaffen, welche Fachkräfte effizient unterstützt und bürokratische Prozesse praxisnah begleitet und gestaltet.

Die spannenden Einblicke in die Praxis lieferten dem gebannten Publikum zahlreiche Beispiele und Denkanstöße, boten allerdings naturgemäß keine allgemeingültigen Lösungen an – dafür ist das Themenfeld zu divers, voraussetzungsvoll und komplex. Sie betonten jedoch die Notwendigkeit, systematische Veränderungen vorzunehmen, um langfristig erfolgreiche Integrationsstrukturen zu schaffen.

Strategieforum Lausitz_Prof. Dr. Raj Kollmorgen ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Impulse aus der Wissenschaft (Teil 4)

Prof. Dr. Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz vermittelte in seinem Vortrag »Strukturwandel – Migration – Gesellschaft: Herausforderungen für die Lausitz« soziologische Überlegungen über die wirkenden Transformationsprozesse in der Lausitz. Die spürbaren Wandlungsdynamiken sind historisch betrachtet stets einzigartig und treffen auf einen „regionalspezifischen Nährboden“ – in der Lausitz ist dieser geprägt durch Industrialisierung ohne Urbanisierung, den Strukturbruch der 1990er Jahre und aufgeschichtete Mentalitäten, die sich über Generationen gehalten haben. Auch Prof. Kollmorgen machte deutlich, dass die gegenwärtigen staatlichen Institutionen auf vergangene Herausforderungen ausgerichtet sind, die heute längst überholt sind und dringend einer Aktualisierung bedürfen. Ihre Strukturen und Funktionslogiken werden den komplexen Problemlagen der aktuellen Transformation oft nicht gerecht, so Kollmorgen.

Der Umgang mit Migration und Integration müsse neben der Schaffung von Arbeitsplätzen auch soziale und kulturelle Dimensionen umfassen. Er erklärte, wie eine gegenseitige menschliche Annäherung gelingen kann und beschrieb dies mit Begriffen Émile Durkheims: Mechanische Solidarität verbindet durch Gemeinsamkeiten, während organische Solidarität Unterschiede anerkennt und auf Kooperation aufbaut – ein aussichtsreiches Modell, wie Migration zukünftig besser gelingen kann. Das Motto »sich dem anderen anzuverwandeln, ohne der andere zu werden« verdeutlicht ferner, dass Vielfalt und Identität keinen Widerspruch bedeuten müssen. Abschließend hob er hervor, dass Diskurse über Migration und Integration nicht allein durch ökonomische Bedarfe geprägt sein sollten, sondern immer auch soziokulturell eingebettet sein müssen.

Prof. Dr. Raj Kollmorgen referierte ohne Verwendung einer PowerPoint-Präsentation.

Strategieforum Lausitz_Dr.-Ing. Klaus Freytag ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Schlussworte

Dr.-Ing. Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter des Ministerpräsidenten Brandenburgs, betonte in seinem Schlusswort, dass der Strukturwandel eine gemeinsame Aufgabe ist, die langfristig ausgelegte Strukturen und Netzwerke erfordert – kurzfristige Projektlaufzeiten seien in einem Marathon wie dem Lausitzer Strukturwandel eher kontraproduktiv. Gleichzeitig brauche es den Mut, alte Muster aufzubrechen und neue Perspektiven zu schaffen. Es sei notwendig, die Komfortzone zu verlassen und die Lausitz über ihre Grenzen hinaus sichtbar und attraktiv zu machen. Sein abschließendes Zitat von Theodor Fontane fasste die Bedeutung dieser Aufgabe treffend zusammen: »Am Mute hängt der Erfolg.«


Diesem Gedanken folgend wird das Strategieforum Lausitz den Teilnehmenden idealerweise als facettenreiche und richtungsweisende Veranstaltung in Erinnerung bleiben. Es bot die Gelegenheit, neueste Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu diskutieren, länderübergreifende Strategien zu besprechen, Netzwerke zu stärken und über regionale Grenzen hinweg nach neuen Lösungen zu suchen, um die Bedarfe des Lausitzer Strukturwandels gemeinsam zu stemmen. Denn: Das Thema Zuzug wird in den kommenden Jahren noch stärker an Relevanz gewinnen, das bestätigten alle anwesenden Expert*innen. Soll die nachhaltige Transformation der Lausitz gelingen, wird die Kunst zukünftig darin bestehen, Zuzug als historische Chance sozialen Fortschritts und nicht nur als Belastung zu begreifen, denn ohne Zuzug wird die Lausitz als Region die Entbehrungen der letzten Jahrzehnte nicht verwinden. Das Strategieforum Lausitz leistete einen kleinen Beitrag dazu, die komplexen Hintergründe, die bestehenden Problemlagen und die aussichtsreichen Potenziale dieses Themas gemeinsam und in länderübergreifender Perspektive zu beleuchten und mögliche Chancen für die Lausitz hervorzuheben. Gemeinsam können wir es schaffen.

Strategieforum Lausitz_Team Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz ©Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz

Unser Dank gilt allen Mitwirkenden, die mit ihren Ideen und ihrem Engagement diese Veranstaltung bereichert haben. Lassen Sie uns diesen Schwung mitnehmen und die Lausitz zu einer Modellregion für Innovation, Vielfalt und nachhaltige Entwicklung machen. Ganz nach unserem Leitsatz: Bildung verbindet!

© Bildnachweis: Netzwerkbüro Bildung in der Lausitz, Fotograf Robert Sokol